Auch das kommt vor

Servus beinand,

bisher habe ich ja überwiegend positives berichtet und abgesehen von kleinen Zwischenfällen war es meine Reise auch durchwegs. 99 Prozent nette Leute, die mir einen Schlafplatz geben, mich zum Essen einladen, einen Umweg machen um mich an meinem Zielort abzusetzen, mir ein Hostelbett spendieren und vieles mehr. Und genau so habe ich es mir vor meiner Reise auch vorgestellt. Ich bin mit der Erwartung in die Reise gegangen, die allermeisten Menschen sind nett und haben gute Absichten und nur die allerwenigsten haben schlechte Absichten. Das hat sich mir auch voll und ganz so bestätigt. Auch dass ich früher oder später mal eine schlechte Erfahrung machen darf, habe ich für Möglich, wenn auch für sehr unwahrscheinlich gehalten. Und natürlich ist es auch immer noch von Person zu Person unterschiedlich, was man als schlechte Erfahrung betrachtet. Beim einen ist die Delle im Auto eine kleine Lapallie, für den anderen geht die Welt unter. So war folgende Situation für mich einfach eine sehr lehrreiche Erfahrung:
Es war schon spät am Abend, als ich - gerade von Marokko gekommen - durch die Straßen Gibraltars in Richtung Main Street eilte, um noch vor Restaurantschluss das argentinische Restaurant meines Freundes Salva zu erreichen, den ich hier schon beim ersten Mal kennengelernt habe. Er war nämlich meine Hoffnung auf ein warmes Abendessen, auf einen überdachten Schlafplatz und Arbeit für die nächsten Tage. Gerade noch rechtzeitig angekommen, begrüßte mich Salva etwas verwundert über meine schnelle Rückkehr aus Marokko mit einem warmen Abendessen. Super. Nur aus dem Schlafplatz wurde leider nix. Ich sicherte ihm aber schonmal meine Hilfe für die nächsten Tage zu und freute mich sogar auf eine Nacht im Freien auf dem Berg Gibraltars. Vorher wollte ich aber noch bei den zwei bettelnden Jungs auf dem Hauptplatz vorbeischauen, die mir Essen angeboten haben, als ich vorher an ihnen vorbeigelaufen bin. Gesagt, getan und ich stand vor ihnen. Ein Franzose und ein Rumäne auf Wanderschaft, die den ganzen Weg aus ihren Ländern zu Fuß ins ferne Gibraltar zurückgelegt hatten!
Da auch sie sich gerade schlafen legen wollten, entschied ich spontan mich ihnen anzuschließen. Ich wollte gerade beginnen meine Schlafutensilien auszupacken, da meinte Darius der Rumäne: "Stop, lass die Sachen drin." Ein Polizeiauto kam zum Stehen und zwei Polizisten stiegen aus. Naja gut, die Sache war schnell erledigt. Wir können nicht direkt am Hauptplatz schlafen, erklärten uns die Polizisten in der typischen Gibraltarischen Freundlichkeit. Ok, auch verständlich. Reisepässe kontrolliert, einen netten Ratsch gehabt und uns einen anderen guten Schlafplatz empfohlen, dann waren sie wieder weg. Als wir dann zu dritt mit vollbepackten Rucksäcken dastanden und überlegten, welche Gasse und welche Treppen der Polizist gemeint hatte, kam ein Mann vorbei, der die Aktion mit der Polizei mitbekommen hat und bot uns einen Schlafplatz an. Der Rumäne und ich leicht skeptisch, der Franzose in seiner vertrauensvoller Art super happy darüber, gingen wir mit ihm mit. Wir gingen sogar die Treppenstufen hinauf, die der Polizist gemeint haben könnte und standen irgendwann vor einem heruntergekommenen, verlassen erscheinenden Haus. Licht gab es keins. Beim Treppensteigen in die dritte Etage musste das Feuerzeug herhalten. Angekommen führte er uns sofort in unser Schlafzimmer mit einem Doppelbett. Hier gabs dann wenigstens Licht. Er entschuldigte sich noch, dass es nur das Doppelbett gab, lies uns dann aber unsere Sachen auspacken. Bzw. ich packte noch gar nix aus. Ich hatte ein leicht komisches Gefühl...bisher unbegründet. Ich mein die Frage, ob wir kiffen, die er uns auf den Weg gestellt hat, ist ja obligatorisch oder? (zumindest wenn man schon seit einigen Wochen auf Reisen ist und gerade aus Marokko zurückkommt)
Die zwei Wanderer erklärten mir ihre Lebensphilosophie und ihre Beziehung zum Geld, die sehr interessant ist. Für sie ist Geld nur ein Werkzeug. Sie betteln zwar, teilen das meiste Geld aber mit anderen Leuten. Wenn sie etwas brauchen, betteln sie das Geld, aber sie horten keins. Geld ist unwichtig und zu viel Abhängigkeit von Besitztümern und dem Geld macht unglücklich. Das war dann auch der Grund, warum sie unseren Gastgeber 50 Pound(55€) liehen, mit denen er ein Batzen Hasch kaufen wollte zum Dealen. Obwohl, wieder war es Arthur der damit null Problem hatte, Darius wollte es ihm nicht geben. Auch mein Bauchgefühl wurde noch etwas komischer: Wer sammelt bitte drei ungewaschene junge, bettelnde Männer von der Straße auf, um dann 50 Pound zu fordern? Dass sie das Geld nicht mehr zurückbekommen sollten, war ihnen schon klar, aber Arthur erklärte mir, dass ihm das ziemlich egal sei. Und das war es ihm auch. Nur Darius nicht, was ich auch verstehen kann. Das war aber noch nicht alles. Unser Gastgeber schaute nochmal zur Tür herein und fragte, ob wir denn Smartphones hätten! Arthur und Darius riefen sogleich ganz dankbar aus: "No, we are free."(was mich irgendwie sogar bissl neidisch macht) und der komische Typ verschwand um sein Hasch zu kaufen. Ich schrie ihm natürlich nicht hinterher: "Hey du, also ich hab ja ein Smartphone". Nach dieser Frage war mir klar: ich verlasse dieses Haus bevor der Mann wieder zurückkommt. Und so habe ich den zweien gesagt, dass ich draussen schlafen will und ich so wahnsinnig gern in der Natur schlafe. Wir würden uns sowieso morgen wieder treffen. Also bin ich raus und mein Bauchgefühl gab Entwarnung. Beruhigt aus diesem verlassenen Haus, das dieser Typ besetzt hat, verlassen zu haben, suchte ich mir einen netten Schlafplatz auf einem wahnsinnig geilen Aussichtspunkt an einer Ecke der Burgmauer, an der man mich nicht sehen konnte. Der Ausblick am nächsten Morgen war herrlich, wie man auf dem Foto sehen kann.
Als ich am Vormittag unten in der Stadt die zwei Wanderer wieder traf, wollte ich natürlich gleich wissen, was denn noch passiert sei. Darius meinte, dass es echt ein scheiß Typ ist...die 50 Pound ham sie natürlich nicht wiederbekommen, das sei aber egal, das schlimmste ist, dass er uns dann noch erzählt hat, dass er in die benachbarten Häuser einbreche und stehle.
Hmmm ja, da war er also: der böse Mann - die böse Spezies Mensch vor der ich vor meiner Reise sofort und so oft gewarnt worden bin. Findet man solche Menschen in Deutschland? Neeeein;)
Hey, schau mal Simon, was hastn draus gelernt? Hör auf dein Bauchgefühl. Und das kann einem so oft gesagt werden, manchmal darf man seine Erfahrungen einfach selber machen. Und was ich auch gelernt habe: selbst wenn ich von dieser Person überfallen und ausgeraubt worden wäre, was wäre passiert? Erstmal wäre ich wahrscheinlich ziemlich geschockt, dann würde ich realisieren, dass ich ja immer noch lebe und dann kann ich arbeiten und mir ein neues Equipment kaufen.
Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, dass es nicht so schlimm ist eine schlechte Erfahrung zu machen, solange man keine ernsthaften Schäden an einem selbst davon trägt. Jeder Besitz ist austauschbar, nur sein Leben eben nicht. Und mit diesen außerordentlich lehrreichen Worten, die dich dazu veranlassen werden deine Beziehung zu materiellen Besitztümern zu überdenken, grüße ich dich ganz herzlich, wo auch immer du grade bist.

Liebe Grüße, Simon

Netter Ausblick von meinem Schlafplatz
Netter Ausblick von meinem Schlafplatz